Im Januar 2023 gab Verkehrsminister Volker Wissing der Bild am Sonntag ein aufschlussreiches Interview. Viele seiner Äußerungen hätten wortwörtlich auch von seinen CSU-Vorgängern im Amt, Andreas Scheuer, Alexander Dobrindt oder Peter Ramsauer kommen können: „Autofahren bedeutet Freiheit, Flexibilität und Privatsphäre, im ländlichen Raum und im Alter außerdem Teilhabe und Selbstbestimmung“. Und: „Es wird auf deutschen Straßen mehr Verkehr geben und wir müssen damit umgehen. Sonst steht die Wirtschaft bald still und wir verlieren Arbeitsplätze.“ Aus Sicht des Verkehrsministers liegt der Neu- und Ausbau von Straßen in einem „überragenden öffentlichen Interesse“. Er will besonders belastete Autobahnen beschleunigt ausbauen, um zusätzliche Spuren verbreitern und Lücken im Autobahnnetz schließen.
Nun ist die Katze aus dem Sack: Wer so spricht, der will an den grundlegenden Strukturen der Verkehrspolitik nichts ändern, der setzt sich für den Erhalt des Status Quo ein, lediglich mit mehr E-Autos und E-Fuels als Klima-Bonbon. Volker Wissing hat als FDP-Generalsekretär die Koalitionsverhandlungen maßgeblich mitverhandelt und mit dafür gesorgt, dass dort das Wort „Verkehrswende“ dort gar nicht vorkommt. Spätestens jetzt weiß jede(r) warum, auch wenn Verkehrspolitiker von SPD und Grünen in Gesprächen mit dem Informationsdienst Fahrradwirtschaft (IFW) darauf beharren, dass es auf einzelne Worte ja gar nicht ankomme, sondern auf die im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Inhalte.
Welche denn? Die Reform des Straßenverkehrsgesetzes vielleicht, aber die kommt bisher allenfalls im Schneckentempo voran. Mehr Freiräume für die Kommunen bei der Gestaltung der Verkehrsbedingungen vor Ort? Die Idee findet der Minister grundsätzlich gut, aber die Initiative „Lebenswerte Städte“, der inzwischen über 400 Kommunen angehören und die u.a. vom Deutschen Städtetag unterstützt wird, wartet trotzdem immer noch auf ein entsprechendes Echo aus Berlin. Und wie steht es um die CO2-Reduktion des Verkehrssektors nach dem Bundesklimaschutzgesetz? Der Minister legte ein „Sofortprogramm“ auf, dass selbst die Experten der Bundesregierung für völlig unzureichend halten. Seither, so scheint es, wird das Problem ausgesessen.
Wer eins und eins zusammenzählen kann und nicht weiter Illusionen nachhängt, hat nun Klarheit: Eine substanzielle Änderung der Verkehrspolitik, die sich Verkehrswende nennen könnte, findet in Deutschland nicht statt und ist von dieser Ampel-Regierung auch nicht zu erwarten. Das ist bitter – wenn auch nicht komplett überraschend, wenn man das Verkehrsressort in die Hände einer Partei gibt, die eine Absage an Tempolimits zur Bedingung für Koalitionsverhandlungen gemacht hat.
Die aktuelle Situation zwingt die Fahrradwirtschaft jetzt dazu, Farbe zu bekennen: Genügt es ihr, dass es geschäftlich eigentlich ja ganz gut läuft und dass es hier und da ein wenig Radverkehrsförderung gibt – vom Bund, vom Land, von den Kommunen – und damit auch die Aussichten positiv sind? Oder versteht sie sich politisch und als Teil der Verkehrswende-Bewegung? Dann muss sie sich deutlich stärker als bisher eindeutig positionieren und ihr politisches Engagement massiv verstärken!
Gibt es Hoffnung? Immerhin hat sich der Verkehrsminister mehrfach positiv zum Radverkehr geäußert. Er findet Radfahren wirklich super – so lange der Status Quo dennoch erhalten bleibt. Anlass für Optimismus kommt jedoch aus den Kommunen. Hier gibt es viel Engagement für die Verkehrswende, manchmal sogar Erfolge, auch wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen schwierig bleiben. Doch in der Politik ist vieles eben auch auf Kompromisse hin orientiert. Verkehrspolitik wird nicht ausschließlich vom Bund gemacht. Und das gibt vielleicht etwas Zuversicht, dass letztlich auch die Initiativen von der Basis nicht ganz ohne Wirkung bleiben.